PRESSEMITTEILUNG

Entschlossen modernisieren: Versäumnisse bei Investitionen angehen, digitale Innovation im Finanzsystem vorantreiben

  • Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich weiterhin in der Stagnation: Die anhaltende Wachstumsschwäche legt nahe, dass die deutsche Wirtschaft von konjunkturellen wie auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird.
  • Das deutsche BIP dürfte in diesem Jahr real um 0,1 % schrumpfen und im Jahr 2025 um 0,4 % wachsen. Die Inflation geht deutlich zurück; die Inflationsrate wird voraussichtlich in diesem Jahr 2,2 % und im kommenden Jahr 2,1 % betragen.
  • Zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben werden seit Jahren zu wenig priorisiert. Um dies zu gewährleisten, müssen institutionelle Vorkehrungen mit hoher Bindungswirkung geschaffen werden, insbesondere ein Verkehrsinfrastrukturfonds und Mindestquoten für Bildungs- und Verteidigungsausgaben.
  • Bei der Digitalisierung im Finanzsystem hinkt Deutschland hinterher und verschenkt Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Der digitale Euro kann eine kostengünstige, sichere Alternative für digitale Zahlungen bieten, die unabhängig von nicht-europäischen Zahlungsdienstleistern ist und den Wettbewerb erhöht.
  • Für mehr Wohnraum in Ballungsräumen und einen besseren Zugang zu Sozialwohnungen sollte das Wohnraumangebot gestärkt, der Wohnungsbestand effizienter genutzt und die soziale Wohnungspolitik zielgenauer werden.

Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen fünf Jahren real insgesamt lediglich um 0,1 Prozent gewachsen. Damit bleibt die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im internationalen Vergleich weiter zurück. „Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird“, erläutert Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft. „In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft. Um so wichtiger ist es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben.“ Wie dies gelingen kann und wie insbesondere zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben bei der Haushaltsaufstellung und Finanzplanung verbindlich erhöht, die Digitalisierung des Finanzsektors vorangetrieben und Knappheiten im Wohnungsmarkt behoben werden können, diskutiert der Sachverständigenrat Wirtschaft im Jahresgutachten 2024/25.

Der Sachverständigenrat erwartet, dass die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2024 stagnieren und sich erst im Verlauf des Jahres 2025 leicht erholen wird. Im laufenden Jahr sind Produktion und Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zurückgegangen. Die Investitionen sind ebenfalls rückläufig. Gleichzeitig führt die Erholung der Weltwirtschaft nicht im bisher üblichen Maße zu einer Steigerung der Exporte. Die privaten Haushalte haben trotz deutlicher Reallohnzuwächse in den Jahren 2023 und 2024 ihren Konsum bisher nur wenig erhöht. Daher rechnet der Sachverständigenrat Wirtschaft für das Jahr 2024 mit einem Rückgang des preisbereinigten Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Deutschland um 0,1 Prozent. Pessimistische Erwartungen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Verlangsamung der Reallohnsteigerungen dürften dazu führen, dass die privaten Konsumausgaben auch im Jahr 2025 nur wenig steigen werden. Auch das BIP dürfte im kommenden Jahr mit 0,4 Prozent nur leicht wachsen. „Die deutsche Wirtschaftsleistung wird 2025 voraussichtlich auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Corona-Krise liegen. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zeigt sich deutlich schwächer als in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften“, erklärt Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. In den USA liegt das BIP bereits heute um mehr als zwölf Prozent über dem Vor-Corona-Niveau, im Euro-Raum um gut vier Prozent.

Die Verbraucherpreisinflation geht deutlich zurück und nähert sich dem EZB-Ziel an. Die Inflationsrate dürfte im Jahr 2024 durchschnittlich 2,2 Prozent betragen, für das Jahr 2025 rechnet der Sachverständigenrat mit einer Rate von 2,1 Prozent.

Verbindlichkeit bei zukunftsorientierten öffentliche Ausgaben erhöhen

Zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben werden von der Politik zu wenig priorisiert und fallen daher in Deutschland seit Jahren gering aus. Diese Versäumnisse zeigen sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintritt. Diese werden gegenüber Ausgaben, die der derzeitigen Wählerschaft zugutekommen, von der Politik oft zurückgestellt. Daher sind institutionelle Vorkehrungen notwendig, die die Politik wirksam verpflichten, ausreichende Mittel für zukunftsorientierte Ausgaben einzusetzen. In seinem Jahresgutachten diskutiert der Sachverständigenrat systematisch mögliche Instrumente mit hoher Bindungswirkung für die Priorisierung zukunftsorientierter öffentlicher Ausgaben.

Geeignete institutionelle Vorkehrungen müssen auf die Anforderungen im jeweiligen Aufgabenbereich abgestimmt werden. „Für den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau des bundeseigenen Straßen- und Schienennetzes eignet sich ein Verkehrsinfrastrukturfonds mit dauerhaft eigenen Einnahmequellen, die aus dem Bundeshaushalt übertragen werden – wie beispielsweise Mauteinnahmen”, sagt Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. Der Nachholbedarf zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur könnte über begrenzte Kreditrahmen innerhalb einer reformierten Schuldenbremse finanziert werden. Für die Verteidigungsausgaben sowie für Bildungsausgaben, insbesondere für Schulbildung, sollten Mindestausgabenquoten definiert werden. Für Verteidigung bietet sich das Zwei-Prozent-Ziel der NATO an. Bei der Bildung könnte ein Indikator ausgehend von Mindestausgaben je Schülerin und Schüler festgesetzt werden. Diese Quoten sollten jedoch länderspezifisch festgelegt werden, da die Kosten für Bildung von den Ländern getragen werden.

Digitalen Wandel im Finanzmarkt zulassen

Bei der Digitalisierung des Finanzmarkts besteht ebenfalls Nachholbedarf. Deutschland liegt hier im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld und verschenkt dadurch Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. „Digitale Innovationen dürften vor allem von neuen Finanzmarktakteuren wie FinTech- und BigTech-Unternehmen ausgehen“, erläutert Ulrike Malmendier, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. Die Digitalisierung verspricht niedrigere Kosten, da sie Dienstleistungen effizienter macht. Gründe dafür sind die Automatisierung von Geschäftsprozessen, die bessere Verwendung digitaler Daten sowie ein intensiverer Wettbewerb, der die Marktmacht der Anbieter verringert. Gleichzeitig entstehen neue Produkte, die die Nutzerfreundlichkeit der Finanzdienstleistungen verbessern.

„Die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung besteht darin, digitale Innovation im Finanzsektor zu ermöglichen, ohne die Finanzstabilität zu gefährden“, sagt Ulrike Malmendier. Insbesondere für FinTechs sollten regulatorische Experimentierräume für neue Produkte und Geschäftsmodelle eingerichtet werden. Darüber hinaus könnte auf Kundenwunsch eine einfachere Übertragung finanzieller Kundeninformationen zu alternativen Anbietern den Wettbewerb stärken. Der geplante digitale Euro könnte eine kostengünstige und sichere Alternative zu Kreditkarten sowie zu Internet-Bezahlverfahren bieten. Dadurch könnte er den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in Europa fördern sowie die Unabhängigkeit gegenüber nicht-europäischen Anbietern stärken. Die EZB ist beim Datenschutz besonders glaubwürdig, da sie kein originäres Interesse daran hat, Zahlungsdaten kommerziell zu nutzen.

Knappheiten im Wohnungsmarkt beheben, Umzugshürden abbauen, Zugang erleichtern

In den vergangenen 15 Jahren sind die Preise im deutschen Wohnungsmarkt stark angestiegen. Gerade in Ballungsräumen und wirtschaftlich starken ländlichen Regionen hat die Wohnraumnachfrage stark angezogen. Gleichzeitig sind dort zu wenig zusätzliche Wohnungen geschaffen worden. Die Knappheit des Wohnraums ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches Problem, weil es den Zuzug von Arbeitskräften in produktive Regionen hemmt. „Der Wohnungsneubau kann durch die Mobilisierung von Baulandpotenzialen, stärkere Bauanreize und eine Senkung der Baukosten mittels harmonisierter Bauvorschriften erhöht werden“, erläutert Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft.

Der Abstand zwischen Neu- und Bestandsmieten hat sich deutlich vergrößert und ist gerade in Ballungsräumen besonders groß. Dies reduziert die finanziellen Anreize für Umzüge. Daher sollten Kappungsgrenzen für zulässige Erhöhungen von Bestandsmieten in angespannten Wohnungsmärkten nicht mehr abgesenkt werden. Generell sollte eine restriktive Mietenregulierung nur temporär gelten und zwingend mit Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumangebots einhergehen. Um die Anreize zu stärken, solche Maßnahmen zu ergreifen, sollte die Mietpreisbremse nach 2028 nicht mehr verlängert werden.

Einkommensschwache Haushalte werden beim Zugang zum Wohnungsmarkt zielgenau durch das Wohngeld (Subjektförderung) unterstützt. Für Personengruppen, die unabhängig von ihrer Einkommenssituation auf dem regulären Wohnungsmarkt benachteiligt sind, sichern Sozialwohnungen (Objektförderung) den Zugang zu angemessenem Wohnraum. Die soziale Wohnraumförderung sollte allerdings zielgenauer werden, indem Fehlbelegungen durch Fehlbelegungsabgaben reduziert werden. Dann können sich Subjekt- und Objektförderung sinnvoll ergänzen.

Konjunktureller Ausblick für Deutschland und Europa
BIP in Deutschland und im Euro-Raum
Wirtschaftliche Eckdaten (in %)
1 – Prognose des Sachverständigenrates.  2 – Preisbereinigt.  3 – Registriert Arbeitslose in Relation zu allen zivilen Erwerbspersonen.  4 – Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter (Inlandskonzept) je Arbeitnehmerstunde.  5 – In Relation zum nominalen BIP; Gebietskörperschaften und Sozialversicherung in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.  6 – Werte basieren auf saison- und kalenderbereinigten Quartalswerten.  7 – Veränderung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex.
Quellen: Eurostat, nationale Statistikämter, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
© Sachverständigenrat | 24-050-03-2
Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren Im Jahresgutachten 2024/25 diskutierte Herausforderungen, Ziele und Maßnahmen
Zu geringe zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben
Ausgabenpriorisierung erleichtern
  • Ex-ante-Analysen zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlage Ziffern 139 F.
  • Transparenz- und Methodenstandards für Kosten-Nutzen-Analysen entwickeln Ziffern 139 F.
Zukunftsorientierte Ausgaben sichern und verstetigen
  • Verkehrsinfrastrukturfonds mit verbindlichen eigenen Einnahmen Ziffer 177
  • Mindestquoten zur langfristigen Finanzierung im Verteidigungs- und Bildungsbereich Ziffern 178 F.
Spielräume für zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben erweitern
  • Kontinuierliche Ex-post-Prüfung und Evaluierung Ziffer 168
  • Sunset Clauses (Auslaufklauseln) institutionalisieren Ziffer 169
  • Schuldenbremse reformieren, um Flexibilität der Fiskalpolitik zu erhöhen, ohne die Stabilität zu gefährden Ziffern 170 FF.
Schleppende Digitalisierung und Innovationen im Finanzsektor
Digitale Innovation im Finanzsektor fördern
  • Regulatorische Experimentierräume für Finanzdienstleistungen eröffnen/einrichten Ziffer 310
  • Open-Banking-Regulierungen, um Datenaustausch im Kundeninteresse zu ermöglichen Ziffer 312
Finanzstabilität sichern
  • BigTechs mit Finanzgeschäft teilweise in prudenzielle Finanzmarktregulierung einbeziehen Ziffer 313
  • Monitoring der Schnittstellen zwischen Banken und digitalen Finanzdienstleistern Ziffer 311
  • Glaubwürdige Haltegrenzen beim digitalen Euro, um Dis-Intermediation zu verhindern Ziffer 314
Zahlungsverkehr in der EU verbessern
  • Zentralbankwährung in einer digitalen Wirtschaft verankern Ziffer 314
  • Mit digitalem Euro kostengünstige Alternative im Zahlungsmarkt etablieren und pan-europäische Zahlungsinfrastruktur aufbauen Ziffer 314
Eingeschränkte Verfügbarkeit und Zugang zu Wohnraum
Wohnungsneubau stärken
  • Anreize für dichtere Bebauung durch Abbau von Hemmnissen bei der Nachverdichtung und Grundsteuerreform erhöhen Ziffern 384 F. und 388
  • In Wohnungsmärkten mit geringerem Innenentwicklungspotenzial Bauflächen durch Außenentwicklung verfügbar machen Ziffer 383
  • Hemmnisse beim seriellen und modularen Wohnungsbau abbauen, um Baukosten zu senken Ziffer 387
Umzugshürden abbauen
  • Abgesenkte Kappungsgrenzen und Mietpreisbremse nur temporär nutzen und mit Maßnahmen zur Ausweitung des Wohnraumangebots verbinden Ziffern 399 FF.
  • Senkung der Grunderwerbsteuer und anderer Kaufnebenkosten (Makler, Notar) Ziffer 403
Zugang zu Wohnraum für sozial Benachteiligte verbessern
  • Stärkung des sozialen Wohnungsbaus als Ergänzung zum Wohngeld Ziffer 408
  • Einführung einer marktnahen Fehlbelegungsabgabe Ziffer 411
Mangelhafte Infrastruktur und hohe CO2-Emissionen im Güterverkehr
Infrastruktur ausbauen
  • Fahrleistungsabhängige PKW-Maut einführen, um Nutzerfinanzierung zu stärken Ziffer 492
  • Feste, längerfristige Zuweisung von Haushaltsmitteln an Investitionsfördergesellschaften Ziffer 494
  • Nicht-monetäre Hemmnisse in Planungs- und Vergabeverfahren abbauen Ziffer 495
Verlagerungsmöglichkeiten auf die Schiene nutzen
  • Fehlanreize bei der Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen in der Schieneninfrastruktur beheben Ziffer 501
  • Ausbau der europäischen Schienengüterverkehrs-Korridore Ziffer 500
  • Effizienz und Kapazität im Schienennetz steigern, z. B. durch Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung Ziffer 497
Straßengüterverkehr elektrifizieren
  • Flächendeckende Ladeinfrastruktur für BE-LKW priorisieren Ziffer 519
  • Schnell und unbürokratisch Flächen für den Aufbau von LKW-Ladesäulen verfügbar machen Ziffer 509
  • Interaktive Netzkarten zu Anschlusskapazitäten zur Verbesserung des Ladeinfrastrukturausbaus Ziffer 510
© Sachverständigenrat | 24-290-01