Festveranstaltung 60 Jahre Sachverständigenrat Wirtschaft
Die Gründung des Sachverständigenrates Wirtschaft jährt sich zum 60. Mal. Zu diesem Anlass fand am Mittwoch, den 21. Juni 2023, eine Festveranstaltung statt, an der Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesminister Robert Habeck teilgenommen haben. Für Interessierte steht weiterhin die Aufzeichnung des Livestreams zur Verfügung.
Rückblick auf 60 Jahre Sachverständigenrat Wirtschaft
August 1963
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Der Bundestag verabschiedete das Gesetz zur Gründung des Sachverständigenrates zur Begutachtung des gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einstimmig (26. Juni 1963).
Es wird von Bundespräsident Heinrich Lübke und Vizekanzler Ludwig Erhard (nicht von Bundeskanzler Adenauer) am 14. August 1963 unterzeichnet.
Als Beratungsort des Sachverständigenrats Wirtschaft einigt man sich auf das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Durch die räumliche Distanz von der Bundesregierung in Bonn sollte die politische Unabhängigkeit des Sachverständigenrats betont werden.
Februar 1964
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Die erste Sitzung des Sachverständigenrates Wirtschaft fand am 28. Februar 1964 in Bonn statt, bei der die Ratsmitglieder ihre Ernennungsurkunden vom Bundespräsidenten erhalten haben. Die ersten fünf Ratsmitglieder waren Wilhelm Bauer, Paul Binder, Herbert Giersch, Harald Koch und Fritz W. Meyer. Im März 1964 wurde Wilhelm Bauer zum ersten Vorsitzenden gewählt.
Die Struktur und Arbeitsweise und die Erstellung der verschiedenen Versionen des Jahresgutachtens gehen auf Herbert Giersch zurück. Im ersten Rat waren neben Wissenschaftlern auch zwei Praktiker vertreten.
November 1964
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Das erste Jahresgutachten 1964/65 trug den Titel 'Stabiles Geld – Stetiges Wachstum'. Es wurde noch nicht offziell dem Bundeskanzler, Ludwig Erhard, direkt übergeben, sondern beim Pförtner abgegeben und mit Empfangsbestätigung quittiert.
Es enthielt mit der kostenniveauneutralen Lohnpolitik eines der prominentesten Konzepte des Sachverständigenrates. Gemäß diesem lohnpolitischen Konzept wird die Lohnanpassung nach der Produktivitätsregel um die Änderungsrate der sonstigen Produktionskosten, insbes. der Kapitalkosten, des Terms-of-Trade-Effekts und der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, ergänzt. Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon
November 1966
Juni 1967
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In seinem zweiten Jahresgutachten 1965/66 kennzeichnete der Rat angesichts zunehmender Inflationsraten ein abgestimmtes Verhalten (Konzertierte Aktion) aller am Wirtschaftsprozess Beteiligten als einen Weg "zur Stabilisierung ohne Stabilisierungskrise" (Ziffer 192). In § 3 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vom Juni 1967 wurde die Konzertierte Aktion dann als aufeinander abgestimmtes Verhalten der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Erreichung der gesamtwirtschaflichen Ziele verankert.
September 1968
März 1970
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Angesichts einer drohenden Überhitzung der Konjunktur schrieb der Sachverständigenrat am 21. März 1970 einen Brief an Bundeskanzler Willy Brandt, in dem er die Bundesregierung zu nachfragedämpfenden Maßnahmen aufruft. Welche Unterschrift sollte der Brief tragen? Es wurde vereinbart, nur die des kurz zuvor gewählten neuen Ratsvorsitzenden Norbert Kloten zu nehmen. Mit dem Füller in der Hand fragte dieser den alten Vorsitzenden: "Wie unterschreiben Sie immer – Wilhelm Bauer oder nur W. Bauer?" Darauf dieser: "Sie müssen vor allem mit Kloten unterschreiben."
Zum Hintergrund: Wilhelm Bauer war bis Februar 1970 Vorsitzender, danach aber weiterhin Mitglied des Sachverständigenrates.
Mai 1970
Dezember 1973
Während der ersten Ölpreiskrise 1973 gab es bundesweit an vier Sonntagen im November und Dezember ein Autofahrverbot. Die Mitglieder des Sachverständigenrates und alle seine Mitarbeiter bekamen eine Sonderfahrerlaubnis, die auch von den hartnäckigen Fahrradfahrern und Fußgängern in Anspruch genommen wurde.
Der Sachverständigenrat hatte zuvor den Antrag dafür gestellt, da dieser seinem gesetzlichen Auftrag nachkam, ein Sondergutachten zu erstellen, das die Auswirkungen der Erdölkrise auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung diskutierte (publiziert am 17. Dezember 1973). Dafür war die Anwesenheit der Mitarbeiter an den autofreien Sonntagen notwendig.
Oktober 1982
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Rat und Stab saßen an einem Morgen am Sitzungstisch mit einem Transistorradio in der Mitte und folgten der Bundestagsdebatte, an deren Ende das Misstrauensvotum gegen den amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt erfolgreich war. Helmut Kohl wurde Bundeskanzler. Der Sachverständigenrat wurde wenige Wochen später vom neuen Bundeskanzler sowie dem damaligen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff eingeladen, über die Maßnahmen eines Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms zu beraten. Es wurde nach den Neuwahlen Anfang 1983 von Bundestag und Bundesrat beschlossen.
November 1984
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Der Sachverständigenrat prognostizierte im Jahresgutachten 1984/85 nach einer tiefen Stabilisierungsrezession einen langen Aufschwung, der dann auch eintrat und bis 1992 dauerte.
Der Titel des Jahresgutachtens lautete 'Chancen für einen langen Aufschwung'. Der Sachverständigenrat wurde in den darauf folgenden Jahren wiederholt zur Evaluierung von Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung und von Wachstumsanreizen angefragt.
November 1989
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"Während wir tagtäglich bis spät in den Abend im November 1989 am neuen Jahresgutachten arbeiteten, überstürzten sich die Nachrichten über die Vorgänge in der DDR. Das hat mich zu der ironisch gemeinten Bemerkung veranlasst: Jetzt haben wir so lange auf die Wiedervereinigung gehofft, jetzt könnte man doch damit auch noch ein paar Tage warten, bis unser Gutachten fertig ist. Bekanntlich wurde die Mauer am 9. November geöffnet, ein Ereignis, das mir erst meine Frau gegen Mitternacht am Telefon schilderte. Am nächsten Tag haben wir uns zusammengesetzt und kamen zu dem Ergebnis, dass es unmöglich ist, die ökonomischen Folgen auch nur annähernd zu erfassen. Wir haben am Gutachten selbst nichts geändert, aber in einem langen Vorwort erste Einschätzungen angedeutet. Noch bevor wir das Jahresgutachten am 20. November 1989 überreicht haben, nahm uns Bundeskanzler Kohl auf die Seite und bat uns, so bald wie möglich ein Sondergutachten zu erstellen." Ottmar Issing
Januar 1990
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Es wurde nicht nur ein Sondergutachten, sondern insgesamt drei (wovon eines ein Brief ist). Darin hat der Rat im Rahmen der deutschen Einigung wirtschaftspolitische Maßnahmen vorgeschlagen. Darunter hat er sich frühzeitig gegen Sonderwirtschaftszonen ausgesprochen und eine zügige Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft konzipiert und begleitet.
20. Januar 1990
Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in der DDR: Voraussetzungen und Möglichkeiten
9. Februar 1990
Zur Frage einer Währungsunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR
13. April 1991
Marktwirtschaftlichen Kurs halten – Zur Wirtschaftspolitik für die neuen Bundesländer
1990er Jahre
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Die neuen Möglichkeiten der Textverarbeitung haben die Erstellung der Jahresgutachten in den 90er Jahren und in den folgenden Jahrzehnten immer weiter vereinfacht. In den 1970er Jahren wurden die Abbildungen noch von Grafikern gezeichnet (so mancher Zettel für Beschriftungen ging dabei unterwegs verloren) und die Texte von Schreibkräften auf der Schreibmaschine getippt. Durch die Computertechnik wurden mehr Analysen möglich, Daten konnten einfacher genutzt werden und die Texte wurden länger. Die neuen Möglichkeiten der elektronischen Textverarbeitung sowie das Erstellen von Schaubildern und Tabellen für die Jahresgutachten haben in den 1990er Jahren und in den folgenden Jahrzehnten die Arbeiten in diesem Bereich immer weiter vereinfacht. So reduzierte sich die Anzahl der Arbeitskräfte an den Schreibmaschinen von einem Dreischichtbetrieb mit bis zu 30 Mitarbeitenden auf unter zehn. Ein Nachteil dieser Fortschritte war jedoch die Tatsache, dass der Umfang der Gutachten immer länger wurde. Im Jahr 2004 war sogar der Verlag an seine Grenzen gestoßen, sodass das Jahresgutachten in zwei Bänden gedruckt und an den Bundeskanzler Gerhard Schröder überreicht werden musste.
November 2002
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Das Jahresgutachten 2002/03 trug den Titel 'Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum'.
Die Agenda 2010 wurde in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 verkündet.
Laut Lars P. Feld (Ratsmitglied von 2011 bis 2021) hat die Agenda 2010 ihrem Namen nach Auskunft des damaligen Vorsitzenden Wolfgang Wiegard daher, dass die Bundesregierung aus dem Jahresgutachten 'Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum' zehn herausgegriffen hat.
Mai 2003
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40-Jahr-Feier des Sachverständigenrates am 6. Mai 2003
"Beratung durch kompetente Dritte ist für jeden handelnden Politiker eine wertvolle Unterstützung, gerade, wenn sie unter einer Bedingung von Unabhängigkeit in einem öffentlich auch kritischen Diskurs vermittelt wird. Ich sage das ausdrücklich: Das gilt auch dann, wenn einem [...] die Gutachten nicht in den, wie man so schön sagt, Kram passen. Auch sind sie dann wertvolle Anregungen, die eigene Urteilsfähigkeit zu schärfen; denn so leicht ist es nicht, politisch gegen die Empfehlung zu agieren." Gerhard Schröder
Dezember 2010
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Gemeinsame Expertise mit dem Conseil d’Analyse économique über eine regelmäßige, ganzheitliche Berichterstattung zur wirtschaftlichen Entwicklung, Lebensqualität und Nachhaltigkeit anhand eines Indikatorensystems
November 2011
Februar 2013
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50-Jahr-Feier des Sachverständigenrates am 20. Februar 2013
“Sie haben – ob von uns umgesetzt oder nicht – immer wieder wichtige Impulse gegeben. Manchmal mussten Sie warten, bis das passiert ist, was Sie schon lange als notwendig angesehen haben – z. B. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, viele Teile der Agenda 2010, Erhöhung des Renteneintrittsalters. In der Wissenschaft weiß man ja, dass man einen langen Atem haben muss.“ Angela Merkel
März 2014
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Die aktualisierte Konjunkturprognose wird im März 2014 erstmalig als eigenständiges neues Publikationsformat veröffentlicht.
Juni 2016
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Der Sachverständigenrat Wirtschaft richtet am 24. Juni 2016 die erste internationale Konferenz in Berlin aus.
November 2017
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Der Sachverständigenrat Wirtschaft legt mit dem Jahresgutachten 2017/18 erstmals eine Rezessionsdatierung vor – rückwirkend für die Jahre 1950 bis 2015. In dieser Konjunkturzyklus-Datierung wird die Dauer der Konjunkturzyklen anhand der Auf- und Abschwungphasen bestimmt.
Februar 2019
Juli 2019
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Das Sondergutachten zur CO2-Bepreisung 'Aufbruch in eine neue Klimapolitik' erlangt hohe Aufmerksamkeit in der Politik.
Das Brennstoffemissionshandelsgesetz wurde am 15. November 2019 vom Bundestag mit der Einführung eines CO2-Preises für Deutschland beschlossen. Dieser gilt seit dem 1. Januar 2021.
April 2020
November 2020
August 2022
Bildnachweise: Bundesarchiv; Klaus Pielert (Künstler), Stiftung Haus der Geschichte; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung; Sachverständigenrat Wirtschaft