Im Fokus: Innovationen, Start-ups und Dekarbonisierung
NATIONALER PRODUKTIVITÄTSDIALOG 2024
Ein warmer Tag in Berlin, viele Gäste vor Ort, spannende Diskussionen mit hochkarätigen Teilnehmer:innen: Der fünfte Nationale Produktivitätsdialog war eine gelungene Veranstaltung und hat zentrale Aspekte zum Thema Wachstumschancen und Innovationen sowie Dekarbonisierung benannt.
In seiner Key Note hat Martin Werding die Projektion des Sachverständigenrates Wirtschaft zum Potenzialwachstum sowie die relevanten Einflussfaktoren erläutert:
Deutschland sieht sich deutlichen Wachstumshemmnissen in den nächsten Jahrzehnten gegenüber. Gemäß der Projektion des Sachverständigenrates Wirtschaft sind die mittelfristigen Wachstumsaussichten auf einem historischen Tiefstand. Das Produktionspotenzial wird bei Fortschreibung aktueller Dynamiken bis nach 2030 jährlich nur noch um durchschnittlich 0,4 Prozent wachsen, danach wird die Wachstumsrate auf 0,7 Prozent pro Jahr ansteigen.
Das Arbeitsvolumen verringert sich aufgrund der demografischen Alterung. Insbesondere durch die demografische Alterung sinkt die Anzahl der Erwerbstätigen: Zwar stehen die meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften vor einer ähnlichen demografischen Herausforderung, aber die Altersstruktur in Deutschland ändert sich in den kommenden 15 Jahren deutlich schneller als im OECD-Durchschnitt. Im Jahr 2035 wird Deutschland einen der höchsten Altenquotienten der OECD-Staaten aufweisen.
Noch gleicht die außergewöhnlich hohe Nettozuwanderung der vergangenen Jahre den Effekt der Alterung auf die Anzahl der Erwerbspersonen auf. Zwar enthält die Projektion des Sachverständigenrates Wirtschaft auch für die Zukunft eine gewisse Nettozuwanderung und eine höhere Erwerbsbeteiligung, beide Faktoren können die rückläufige natürliche Bevölkerungsentwicklung jedoch nicht kompensieren. Daher bleibt der Beitrag des Arbeitsvolumens zum Wachstum des Produktionspotenzials bis zum Jahr 2070 negativ.
Doch nicht nur die Gesellschaft altert: Produktionsanlagen und der Kapitalstock sind in Deutschland seit dem Jahr 1995 ebenfalls deutlich gealtert (gemessen über Abschreibungen durch das Verhältnis von Nettokapitalstock zu Bruttokapitalstock). Ein zunehmender Anteil der Investitionen in Deutschland ersetzt lediglich alte Kapitalgüter anstatt den Kapitalstock zu vergrößern. Der Beitrag des Kapitaleinsatzes zum Wachstum des Produktionspotenzials ist daher auf jährlich durchschnittlich etwa 0,4 Prozentpunkte gesunken, während er in den 1980er-Jahren bis Mitte der 1990er-Jahre noch bei einem Prozent lag.
Auch die Unternehmensdemografie in Deutschland altert. Im europäischen Vergleich sind die Gründungsraten gering und waren zudem bis vor kurzem rückläufig. Die geringe Gründungsaktivität dürfte ein Grund für die geringen Produktivitätszuwächse der vergangenen Jahre gewesen sein.
Was ist also zu tun?
- Arbeitskräfte: Das Erwerbspersonenpotenzial könnte durch eine verstärkte Migration und eine erhöhte Erwerbsbeteiligung älterer Personen gesteigert werden (Stichwort späterer Renteneintritt). Zudem ist die Erwerbsbeteiligung von Zweitverdienenden, meist Frauen, zu erhöhen. Dazu können eine Reform des Ehegattensplittings und eine bessere Kinderbetreuung beitragen.
- Investitionen: “Investitionen in physisches Kapital, wie etwa Automatisierung, können uns helfen und können ein geringeres Arbeitskräfteangebot ein Stück weit ausgleichen”, sagte Martin Werding. “KI könne ein wesentlicher Teil sein, Innovationsprozesse zu beschleunigen und Arbeitskräfte freisetzen, die woanders gebraucht werden können.” Somit können neue Querschnittstechnologien wie KI das Wachstum nachhaltig stärken.
- Gründungsdynamik: Die Produktivität (also TFP) lässt sich durch eine Reallokation von Arbeitskräften und Kapital verbessern, da so produktivere Unternehmen entstehen können. In Deutschland ist die Gründungsdynamik jedoch im europäischen Vergleich eher gering. Dabei fehlt es vor allem an finanziellen Mitteln für die Wachstumsphase von Start-ups. Wagniskapital ist beispielsweise in den USA und Kanada besser verfügbar. Öffentliche Wagniskapitalfonds sind bei einer Kofinanzierung mit privaten Investoren besonders erfolgreich.
Start-ups: Motor für Wachstumschancen in Deutschland?
KI sei eine riesige Chance, um die Transformation der deutschen Industrie zu gestalten, erläuterte Vanessa Cann (Vorstandsmitglied im KI-Bundesverband). “Wir müssen dahin kommen, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle hinterfragen.”
Erfolgreiches Unternehmertum sei eine Frage von Vorbildern, sagte Zoe Fabian (stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Startups). Das UnternehmerTUM (am Forschungscampus der Technischen Universität München) als größtes europäisches Gründerzentrum sollte Vorbild für andere Regionen sein. Gleichzeitig müsse europäisch gedacht werden, damit (junge) Unternehmen und Start-ups im globalen Wettbewerb bestehen können. Die noch immer vorhandene Fragmentierung Europas in 27 nationale Märkte, teils mit nationaler Regulierung, sei die zentrale Herausforderung für die Unternehmen in Europa. “Denn Start-ups müssen hier viel rascher internationalisieren als beispielsweise in den USA.”
Deutschland sei gut aufgestellt bei Finanzierungen in der Frühphase, aber es fehle an Fonds für Spätphasen- und Wachstumsfinanzierung, erklärt Klaus Müller (Leiter Unternehmensentwicklung und Kommunikation bei KfW Capital). “Wenn es solche Growth Fonds gibt, sind sie zu klein. Wir haben eine einfache Aufgabe: Fonds größer machen”, ergänzt er. Größere Fonds können größere Tickets investieren. Üblicherweise habe ein Fonds eine Investitionsobergrenze, die meist bei 10 oder 15 Prozent liege. Wenn ein Fonds 100 Millionen Anlagesumme habe, könne er auch nur maximal 10 oder 15 Millionen in ein Unternehmen investieren. Wenn der gleiche Fonds fünfmal so groß ist, entsprechend mehr, erläutert er weiter. Aber er sagt auch: Das werde mit öffentlichen Gelder allein nicht zu schaffen sein, wir brauchen mehr private Investoren. Da hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher.
Mobilität und Infrastruktur – Herausforderung Dekarbonisierung
Der Güterverkehr spielt für Deutschland eine wichtige Rolle. Dies liegt an dem hohen Industrieanteil, durch den Vorprodukte an die Produktionsstätten transportiert werden müssen, und an der starken Handelsorientierung.
Der Güterverkehr ist für acht Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, davon entfallen allein 98 Prozent auf den Straßengüterverkehr.
Die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs mit einem Wechsel auf emissionsarme Antriebstechnologien sei der zentrale Hebel zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs insgesamt, erläuterte Monika Schnitzer zu Beginn der Paneldiskussion. Gleichzeitig steigt der Gütertransport mit dem Wirtschaftswachstum. Sie sagte, es sei lange nicht genug in die Infrastruktur investiert worden. Entscheidend dabei ist, dass nicht nach Kassenlage, sondern verlässlich und langfristig investiert wird, damit die privatwirtschaftlichen Kapazitäten auch vorgehalten werden.
Tim Scharwath (CEO DHL Global Forwarding, Freight) erklärte: “LKW sei nicht gleich LKW, da gibt es unterschiedliche Applikationen.” Im Nah- und Verteilverkehr sei es sehr gut möglich, nur mit Batterie zu fahren. Im Schwerlastverkehr reiche die Reichweite noch nicht aus, da müssen wir noch auf bessere Batterien warten. Dafür brauchen wir auch eine entsprechende Ladeinfrastruktur.
Infrastruktur sei eine Maßnahme von vielen, da könne man nicht nur den Staat bitten. “Wir als Hersteller investieren hier auch”, ergänzte Frederik Zohm (Vorstand für Forschung und Entwicklung MAN Truck & Bus SE). Beim Aufbau der Ladeinfrastruktur fehle jedoch auf europäischer Ebene eine koordinierende Stelle, dort gäbe es nur die AFIR-Verordnung. Deutschland sei mit der NOW GmbH und der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur gut aufgestellt.
Die Technologiereife bei batterieleektrischen LKW sei wesentlich höher als bei allen anderen Optionen. “Mit Batterien können wir payload-neutral alle Anwendungen erfüllen.” Allerdings: “E-LKW kosten das 1,5 bis 2-fache von dieselbetriebenen LKW.” Ein günstiger Energiepreis könne den Spediteur aber entlasten. Bei Wasserstoff und E-Fuels sei die Energieeffizienz deutlich geringer als bei der direkten Elektrifizierung. Diese Effizienzverluste werde irgendjemand zahlen müssen – und das seien die Kunden. Wenn Spediteure selbst Strom erzeugen würden, habe das für sie erhebliches Potenzial, erläutert er weiter.
Timur Gül (Chief Energy Technology Officer bei der International Energy Agency) erläuterte: “Global waren 18 Prozent aller Fahrzeugverkäufe letztes Jahr elektrisch – im Güterverkehr sind wir da noch nicht.” Dabei seien 60 Prozent aller verkauften batterieelektrischen Fahrzeuge in China direkt beim Verkauf billiger als der Verbrenner gewesen.
Copyright der Bilder
© Europäische Kommission / Dirk Lässig