Produktivität: Corona-Krise und Strukturwandel

Nationaler Produktivitätsdialog 2022

Der Nationale Produktivitätsdialog, organisiert von der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland gemeinsam mit dem Sachverständigenrat, fand am 27. Januar 2022 zum dritten Mal statt.

Nachfolgend finden Sie Videomitschnitte und eine kurze Zusammenfassung der Veranstaltung. Das Programm finden Sie hier (PDF). Die Veranstaltung konnte eine durchweg hohe Zahl an Zuschauern anziehen. In verschiedenen Diskussionsformaten wurden die Ergebnisse des nationalen Produktivitätsberichts zu den Themen Strukturwandel, Innovation und Digitalisierung mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutiert. 

Nach der Begrüßung durch Dr. Jörg Wojahn von der Europäischen Kommission betonte Sven Giegold (Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) in seiner Key Note: „Gerade angesichts der großen Herausforderungen in der Digitalisierung und dem Klimaschutz brauchen wir eine hohe wirtschaftliche Dynamik, Innovationen und Produktivitätssteigerungen in den Zukunftsbereichen. Denn nur durch Innovationen und Wettbewerb werden wir die Veränderungsdynamiken hinbekommen. Es gehört zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft, dass das nur gelingen kann, wenn der Ordnungsrahmen diesen Wettbewerb und diese Innovation in die Zukunftsbereiche richtig setzt.”

 

In der ersten ‘Diskussion mit’ tauschten sich Mathias Cormann (Generalsekretär der OECD) und Prof. Volker Wieland, Ph.D. über die Rettungspolitik in der Corona-Krise und deren Auswirkung auf die Produktivität aus.
„Wir haben in Europa den Weg gewählt, Unternehmen direkt zu unterstützen, zum Beispiel durch direkte Zahlungen und sehr großzügige Kurzarbeitsprogramme. In den USA gingen die Unterstützungen direkt zu den Arbeitnehmern und den Arbeitslosen”, erklärte Volker Wieland. Mathias Cormann ergänzte: „Wir befürchten, dass von der Bindung von Personal und Kapital in maroden Unternehmen eine Bremswirkung auf die Innovationsfähigkeit, die Produktivität, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum ausgeht.“
Anschließend diskutierten beide über die Digitalisierung in Deutschland. Nach Ansicht von Volker Wieland stottert der Digitalisierungsmotor vor allem bei kleineren Unternehmen: „In Deutschland investieren kleinere Unternehmen deutlich weniger in neue digitale Technologien und stellen ihre Prozesse weniger um als große und mittlere Unternehmen.“ Mathias Cormann betonte im Hinblick auf Deutschland: „Es ist von zentraler Bedeutung, die Digitalisierung kleinerer und weniger produktiver Unternehmen zu fördern. Die begrenzte Verfügbarkeit von Breitbandinternet außerhalb großer Städte scheint ein Hindernis zu sein.“

 

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die deutsche Volkswirtschaft und wie Innovationen gezielt gefördert werden können, diskutierten Dr. Christian Lerch (Leiter des Geschäftsfelds Industrieller Wandel und neue Geschäftsmodelle beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI), Michael Vassiliadis (Vorsitzender der IGBCE), Miriam Wohlfarth (Gründerin und Geschäftsführerin der Ratepay und Banxware GmbH) und Prof. Dr. Veronika Grimm.
Zu Beginn der Diskussion betonte Veronika Grimm in einem kurzen Impuls, dass Deutschland an den Digitalisierungsschub der Corona-Krise anknüpfen sollte, um das Innovationspotential zu stärken. Dazu sollten Verwaltung und Schulen konsequent weiter digitalisiert und die digitale Infrastruktur ausgebaut werden. Zunächst müssten die Lernrückstände aus der Corona-Zeit aufgeholt werden. Zudem müsse die Chancengleichheit unter den Schülerinnen und Schülern verbessert werden.
In Bezug auf die betriebliche Weiterbildung erläuterte Michael Vassiliadis: “Unternehmen unterschätzen den strategischen Teil einer souverän ausgebildeten Arbeitnehmerschaft in diesem Strukturwandel und in der Digitalisierung.” Deutschland sei eine Veredelungsmaschine, deshalb müssen Qualifizierung, Prozesse und Digitalisierung nicht nur up-to-date gehalten werden, sondern müssen up front sein, ergänzte er.
Christian Lerch sagte dazu: „Vom Digitalisierungsschub haben insbesondere Unternehmen profitiert, die bereits vor der Krise stark digitalisiert waren." So gehe die Schere zwischen digitalisierten und nicht digitalisierten Unternehmen immer weiter auseinander, erläuterte er. Miriam Wohlfarth ergänzte: „Digitalisierung steht zwar überall auf der Agenda. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass auch wirklich was passiert. Digitalisierung ist zu oft nicht Chefsache."

 

Nach der Pause folgte die zweite ‘Diskussion mit’, in der Steffen Saebisch (Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen) und Prof. Dr. Achim Truger die Frage: ‘Wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen zur Steigerung des Produktivitätswachstums – Wie kann das BMF eine produktivitätssteigernde Wirtschaftspolitik unterstützen?’ erörterten. Auch die Corona-Politik wurde diskutiert. Zu den Corona-Hilfen sagte Staatssekretär Steffen Saebisch: „Insbesondere die Frage der operativen Umsetzung über die verschiedenen staatlichen Ebenen hinweg war eine große Herausforderung." Im nächsten halben Jahr müsse man aber verstärkt darauf schauen, sagte Steffen Saebisch, welche Branchen man stärker beachten muss – und wo man eine Überförderung vermeiden sollte. Dass die Mittel jedoch gut eingesetzt waren, zeigt die Einschätzung des Sachverständigenrates, dass keine Insolvenzwelle zu erwarten sei. Achim Truger ergänzte dazu: „Auch wenn jedes einzelne Unternehmen, das in die Insolvenz geht, ein Problem darstellt, so sieht doch aktuell die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen relativ gut aus."

 

In der zweiten Paneldiskussion diskutieren Prof. Dr. Henning Kagermann (Vorsitzender des  acatech-Kuratoriums), Dr. Bernhard Rohleder (Hauptgeschäftsführer von Bitkom e. V.) und Prof. Dr. Monika Schnitzer die Frage, ob digitale Plattformen eine Triebkraft oder ein Hemmnis für das Produktivitätswachstum sind.
Monika Schnitzer erläuterte in ihrem Impuls die Ergebnisse des Produktivitätsberichts und sagte: „Mit geeigneten Maßnahmen könnten die Potenziale der Datenökonomie gehoben werden. Dazu zählen Verbesserung des Datenzugangs und -austauschs, Stärkung des Wettbewerbs in der Datenökonomie und Entwicklung einer kohärenten Digitalstrategie.” Allerdings nutzten deutsche Unternehmen in deutlich geringerem Umfang Cloud-Computing Dienste als Unternehmen in anderen europäischen Staaten. Die Nutzung digitaler Plattformen fällt insbesondere für kleine Unternehmen gering aus, erläuterte sie.
Sorge bereitete Henning Kagermann, dass durch Kooperationen mit Plattformen der Zugang zur Kundenschnittstelle verloren gehen kann: „Digitale Plattformen können zum Wettbewerbshemmnis werden, wenn Plattformanbieter die Kundenschnittstelle besetzen oder selbst im Kerngeschäft der Plattformnutzer tätig werden."
Bernhard Rohleder sieht die Digitalisierung sogar als Langstreckenlauf: „Digitalisierung ist ein Prozess, der in unserem Leben nicht abgeschlossen sein wird. Wir müssen also immer in Bewegung bleiben."

 

Eine ausführliche Zusammenfassung des Nationalen Produktivitätsdialoges mit dem Titel "Produktivitätsdialog: Die Corona-Krise und der Strukturwandel" gibt es auf dem Blog Inclusive Productivity der Bertelsmann Stiftung.

Der Nationale Produktivitätsdialog ist eine Plattform für den regelmäßigen Austausch auf nationaler und internationaler Ebene zum Thema Produktivität. Diesen zu fördern, ist Bestandteil der Aufgabe des Sachverständigenrates als Nationaler Ausschuss für Produktivität in Deutschland.