PRESSEMITTEILUNG
Reformen im Steuer-Transfer-System – geringere Armutsgefährdung durch bessere Erwerbsmöglichkeiten und stärkere Erwerbsanreize
- Während sich die Einkommensungleichheit in Deutschland seit 2005 kaum verändert hat, ist die Armutsgefährdungsquote gestiegen.
- Eine Bündelung von Transferleistungen und eine geringere Transferentzugsrate können Erwerbsanreize stärken und dadurch die Armutsgefährdung reduzieren, ohne die öffentlichen Haushalte zu belasten.
- Eine gut ausgebaute Kinderbetreuung ist zentral, um die Erwerbsarbeit insbesondere von Frauen zu ermöglichen. Eine Reform des Ehegattensplittings kann die Erwerbsanreize von verheirateten Zweitverdienenden stärken.
Verschiedene Reformoptionen im Steuer-Transfer-System können die Armutsgefährdung senken und Erwerbsanreize stärken, ohne die öffentlichen Haushalte zu belasten. Die Bündelung von Leistungen in der Grundsicherung mit einer im Vergleich zum Status quo geringeren Transferentzugsrate kann Erwerbsanreize für Personen mit niedrigem Einkommen deutlich erhöhen. Je nach konkreter Ausgestaltung ist dies ohne höhere staatliche Ausgaben möglich. Eine Zusammenlegung von Leistungen in der Kindergrundsicherung könnte Stigma-Effekten entgegenwirken und die Armutsgefährdung speziell von Kindern und Jugendlichen reduzieren.
„Wenn verschiedene Leistungen in der Grundsicherung gebündelt werden, kann dies den Bezug vereinfachen und die Inanspruchnahme erhöhen. Eine niedrigere Transferentzugsrate würde es attraktiver machen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auszudehnen“, sagt Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. „Dies könnte vielen Menschen aus der Armuts-gefährdung heraus helfen. Dafür müssen aber die Voraussetzungen geschaffen werden, eine Erwerbstätigkeit überhaupt auszuüben – ein Ausbau der immer noch lückenhaften Kinderbetreuung ist unverzichtbar“, ergänzt Achim Truger.
Seit 2005 stagnieren die Haushaltsnettoeinkommen der unteren Einkommensgruppen, während die durchschnittlichen Realeinkommen merklich gewachsen sind. Dadurch ist die Armutsgefährdungsquote weiter angestiegen. Besonders armutsgefährdet sind Alleinerziehende, Arbeitslose, Kinder und Jugendliche sowie Personen mit Migrationshintergrund. Alleinerziehende sind deutlich häufiger Frauen, zudem sind geschiedene Frauen häufiger armutsgefährdet als geschiedene Männer.
Armutsgefährdung geht in Deutschland sowohl mit individuellen Schwierigkeiten für die betroffenen Personen als auch mit gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen einher. Personen mit einem niedrigeren Einkommen haben häufig einen schlechteren Gesundheitszustand und eine geringere Lebenserwartung. Bildungschancen von Kindern sind in Deutschland sehr ungleich verteilt und hängen stark vom familiären Hintergrund ab. Wenn Talente armutsgefährdeter Personen ungenutzt bleiben, kann sich das negativ auf Innovationen und Wachstum auswirken. Strukturelle Verbesserungen im Bildungssystem erhöhen langfristig die Chancengleichheit von armutsgefährdeten Kindern und verbessern damit deren Möglichkeiten, später im Berufsleben gut bezahlte Arbeitsplätze zu erhalten.
Die geplante Kindergrundsicherung kann dafür sorgen, dass mehr anspruchsberechtigte Familien die Transferleistungen tatsächlich wahrnehmen und damit die Armutsgefährdung insbesondere von armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern und Jugendlichen verringern.
Eine Reform des Ehegattensplittings kann die Erwerbsanreize der Zweitverdienenden, meistens Frauen, stärken. Ein flächendeckendes und zeitlich flexibles Angebot an qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung ist notwendig, damit Eltern ihre Erwerbstätigkeit ausweiten können. Sowohl
bei den unter 3-Jährigen, den 3- bis 5-Jährigen als auch den Grundschulkindern gibt es aber nach wie vor deutliche Betreuungslücken. Für armutsgefährdete Familien sollte die Kinderbetreuung gebührenfrei sein, damit die Eltern leichter eine Erwerbsarbeit aufnehmen können.
Für kurzfristige Entlastungen in Krisenzeiten ist ein flächendeckendes Instrument für zielgenaue Direktzahlungen an private Haushalte notwendig. Dafür sollten die technischen sowie rechtlichen Voraussetzungen so schnell wie möglich geschaffen werden. Im ersten Schritt sollte ein pauschales Klimageld zur Kompensation der Belastungen durch den CO2-Preis umgesetzt werden.