Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung des Sachverständigenrates (Peter Bofinger, Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt, Isabel Schnabel und Volker Wieland) – erschienen am 25. März 2018.
Am 23. März 2018 ist die vom amerikanischen Präsidenten angekündigte Zollerhöhung auf Stahl und Aluminium in Kraft getreten. Dass gerade die Vereinigten Staaten, bisher Vorreiter des Freihandels, neue Handelsbarrieren errichten, führt weltweit zu großer Besorgnis. Eine Zuspitzung der Auseinandersetzung durch eine Spirale protektionistischer Maßnahmen oder gar ein Handelskrieg wie in den 1930er Jahren wären für die Weltwirtschaft fatal. Eine solche Eskalation würde internationale Wertschöpfungsketten beeinträchtigen und hätte negative Auswirkungen auf die globale und die deutsche Wirtschaft, aber auch auf die Vereinigten Staaten selbst.
Wenngleich einige Staaten - einschließlich der Europäischen Union (EU) - in letzter Minute noch zumindest zeitweise Ausnahmen von den Zöllen aushandeln konnten, ist die aktuelle Entwicklung ein Weckruf. Denn die handelspolitische Herausforderung ist damit nicht beendet. Die EU, die für alle Mitgliedstaaten die handelspolitischen Entscheidungskompetenzen besitzt, muss daher umgehend eine von allen Mitgliedstaaten getragene Strategie entwickeln, um rasch und angemessen reagieren zu können. Die Strategie der EU sollte aus drei Elementen bestehen: dem Ausloten der vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten der Welthandelsorganisation (WTO), einem fortgesetzten Werben für die Vorzüge des Freihandels und - als wichtigstem Element - dem Versuch, die aktuelle Auseinandersetzung zu nutzen, um den Freihandel mit den Vereinigten Staaten und mit anderen Partnern zu vertiefen.
Den Ausgangspunkt für alle Maßnahmen bildet das Regelwerk der WTO. Dort ist das Vorgehen zur Sanktionierung von Regelverstößen kodifiziert. Diese Möglichkeiten sollten genutzt werden. Nur mit einem gemeinsamen Vorgehen wird die Staatengemeinschaft in der Lage sein, dem protektionistischen Verhalten der Vereinigten Staaten Einhalt zu gebieten. Dabei gibt es schon allein deswegen keinen Grund für ein überhastetes Vorgehen, weil die Zollerhöhung nur einen kleinen Teil der amerikanischen Importe betrifft. Aluminium und Stahl machten rund 1 Prozent der gesamten amerikanischen Importe im Jahr 2016 aus. Zudem ist die Entscheidung von Präsident Trump kein einmaliger Vorgang in der Geschichte. So hat Präsident George W. Bush im Jahr 2002 ebenfalls einseitig die Zölle auf Stahl erhöht und im darauffolgenden Jahr die Erhöhung auf Drängen der WTO und der Staatengemeinschaft zurückgenommen. Darüber hinaus sollte die EU die Vorteile eines ungehinderten internationalen Austauschs von Waren und Dienstleistungen offensiv kommunizieren, um auf die Diskussion in den Vereinigten Staaten und andernorts einzuwirken. Denn anders als die merkantilistische Rhetorik von Donald Trump suggeriert, ist der internationale Handel kein Nullsummenspiel. Er ist vielmehr eine entscheidende Quelle des weltweiten Wohlstands.
Dies belegt die Entwicklung der vergangenen 25 Jahre besonders eindrücklich. Der starke Anstieg der globalen wirtschaftlichen Integration, der sich besonders ausgeprägt seit Ende der 1980er Jahre vollzogen hat, ging mit einem enormen Anstieg des Wohlstands in fast allen Ländern einher. Gleichzeitig ist die Zahl der weltweit in Armut lebenden Menschen trotz gleichzeitigem Bevölkerungswachstum deutlich zurückgegangen, und die Ungleichheit zwischen den Volkswirtschaften hat abgenommen.
Für Deutschland zeigen Schätzungen, dass rund die Hälfte des Anstiegs des realen Bruttoinlandsprodukts je Einwohner in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf den Handel zurückzuführen ist. Wenn Donald Trump glaubt, dass sich im großen Handelsbilanzdefizit seines Landes Verluste aus der Globalisierung zeigten, irrt er sich gewaltig. Es spiegelt sich darin vielmehr unter anderem das außerordentliche Privileg der Vereinigten Staaten, über die Verhältnisse leben zu können und den Fehlbetrag durch die Emission der eigenen Währung zu finanzieren. Die Chance, dem politischen Diskurs innerhalb der Vereinigten Staaten durch stichhaltige Argumente Impulse von außen zu verleihen und so diejenigen gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu stützen, die eine ökonomisch fundierte Position vertreten, sollte man nicht verpassen.
Vor allem aber sollte die EU die aktuelle Kontroverse als Chance begreifen, um mit verstärkter Intensität für eine weitere Liberalisierung des Welthandels einzutreten und dessen Vorteile noch stärker als bislang zu nutzen. Potenziale für mehr Freihandel gibt es im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wie gegenüber anderen Regionen der Welt. Da der amerikanische Präsident zu Recht die teilweise relativ hohen Zölle in der EU moniert, könnte die EU Verhandlungen über eine beidseitige Reduktion der Zölle vorschlagen. Diese könnten etwa auf den Teilen der TTIP-Verhandlungen aufbauen, die sich bereits auf Zölle beziehen. Es wurden damals bereits viele Zölle identifiziert, die durch das Freihandelsabkommen auf beiden Seiten auf null hätten gesenkt werden sollen. Zudem könnten die Verhandlungen steuerliche Sonderregeln umfassen wie die jüngst von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Sondersteuer auf Umsätze von Digitalunternehmen unabhängig von deren Firmenstandort, die von den Vereinigten Staaten als protektionistische Maßnahme gewertet werden kann.
Ebenso könnte die EU die aktuelle Situation zum Anlass nehmen, die internationalen Anstrengungen für Zollsenkungen innerhalb der WTO wieder zu verstärken. Die derzeit gültigen Regeln der WTO wurden in der Uruguay-Runde" zwischen 1986 und 1994 verhandelt, als die globalen Wirtschaftsgewichte noch ganz anders verteilt waren als heute. Der Abschluss einer weiteren Verhandlungsrunde könnte daher die WTO und das regelbasierte Handelssystem stärken.
Schließlich könnte ein intensiverer Handel der EU mit anderen Regionen der Welt nicht nur die Vorteile des Freihandels verdeutlichen, er würde Europa gleichzeitig unabhängiger von den Vereinigten Staaten machen. Möglichkeiten zur weiteren Liberalisierung gibt es insbesondere im Dienstleistungsbereich und im digitalen Handel. Zusätzlich können neue Freihandelsabkommen, beispielsweise mit China, Indien oder den lateinamerikanischen Staaten, spürbare Wohlfahrtssteigerungen mit sich bringen. Ein aktives Bemühen um den Freihandel wäre für alle Beteiligten weit besser als eine Eskalation des Protektionismus.