- Nach Einschätzung des Sachverständigenrates wird der IRA selbst nur geringe gesamtwirtschaftliche Auswirkungen in Europa haben. In einzelnen Wirtschaftszweigen dürften die Anreize für Investitionen in den USA relativ zum Standort Europa steigen.
- Die EU sollte ihre Förderprogramme entbürokratisieren und stärker auf die Emissionsminderung ausrichten. Um die schon bestehenden Energiepreisunterschiede zu verringern, sollten das Energieangebot und die Energieinfrastruktur ausgebaut werden.
- Der Sachverständigenrat Wirtschaft veröffentlicht erstmals einen Policy Brief.
Dieses neue Publikationsformat setzt sich mit aktuellen Themen auseinander und wird unregelmäßig erscheinen.
Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ist in den USA zu Beginn des Jahres ein umfangreiches Subventionsprogramm für emissionsarme Technologien in Kraft getreten. Der Sachverständigenrat Wirtschaft teilt die von verschiedenen Seiten vorgetragenen Befürchtungen hinsichtlich des IRA nur eingeschränkt. Nach Einschätzung des Sachverständigenrates werden die Subventionen des IRA selbst nur geringe gesamtwirtschaftliche Auswirkungen in der Europäischen Union (EU) haben. Für einzelne, zur Erreichung der Klimaziele relevante, Industriezweige könnten die Subventionen des IRA allerdings die Standortattraktivität der USA erhöhen und damit den Anreiz verstärken, in den USA statt in der EU zu investieren. Insgesamt dürften sich jedoch die bestehenden Energiepreisunterschiede deutlich stärker auf die relative Standortattraktivität der EU auswirken als der IRA selbst.
Wie die EU und ihre Mitgliedstaaten auf den IRA reagieren sollten, diskutiert der Sachverständigenrat Wirtschaft in seinem aktuellen Policy Brief, einem neuen Publikationsformat, das in unregelmäßigen Abständen erscheinen wird.
Subventionswettlauf vermeiden, Fördersystem überarbeiten
Um die relative Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken, werden auch in der EU zusätzliche Subventionen als Antwort auf den IRA gefordert. Ein durch den IRA ausgelöster Subventionswettlauf wäre sowohl für die USA als auch für die EU mit erheblichen Wohlfahrtseinbußen verbunden und sollte daher vermieden werden. „Die EU-Mitgliedstaaten sollten ihre Reaktionen auf den IRA abstimmen und sich auf ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene verständigen“, betont Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft. „Nationale Förderprogramme sollten nicht zu einem Bieterwettbewerb innerhalb der EU führen.“
Vergleicht man den Umfang der Förderprogramme für grüne Technologien in Europa und den USA, zeigt sich, dass die EU emissionsarme Technologien mit dem Green Deal Industrial Plan bereits jetzt in vergleichbarem Umfang fördert wie die USA mit den entsprechenden Programmen im IRA. Anders als die Förderprogramme und die Vergabe der Mittel über Antragsverfahren in Europa sind die Steuererleichterungen des IRA für Unternehmen deutlich planbarer und bei Produktionsausweitungen nicht gedeckelt. „Bei den bestehenden europäischen Förderprogrammen könnte überprüft werden, wie sich die Inanspruchnahme von Subventionen durch berechtigte Unternehmen vereinfachen lässt und bürokratische Hürden reduziert werden“, schlägt Ulrike Malmendier, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, vor. „Gleichzeitig sollte die Förderung stärker an der erwarteten Emissionsminderung durch die geförderten Aktivitäten ausgerichtet werden.“
Energieangebot ausbauen, um Energiepreisdifferenz zu reduzieren
Subventionen für emissionsarme und nachhaltige Elektrizitätserzeugung sind der größte und voraussichtlich am breitesten wirkende Einzelposten innerhalb des IRA. Hierfür sind 43,6 Prozent des geplanten Fördervolumens in Form von Steuergutschriften vorgesehen. Mehrere Studien schätzen, dass der IRA die Preise für Strom in den USA um circa 1 ct je Kilowattstunde senken wird. „Wir erwarten, dass die schon bestehenden Energiepreisunterschiede deutlich stärkere Auswirkungen auf die Standortattraktivität Europas haben dürften als der IRA selbst“, sagt Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat. In den vergangenen drei Monaten lagen die Strompreise in Deutschland durchschnittlich um 9 ct je Kilowattstunde höher als in den USA. „Um die relativen Energiekosten zu senken, sollten das Stromangebot und die Energieinfrastruktur zügig ausgebaut werden“, erläutert Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat. Dazu sollten der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt und in Deutschland wasserstofffähige Gaskraftwerke zugebaut werden. Die Anreize zur Flexibilisierung von Stromnachfrage und -angebot sollten deutlich erhöht werden. Dies könnte beispielsweise mit einer Reform der Struktur der Netzentgelte oder einer Stärkung regional differenzierter Preissignale über eine regionale Aufteilung des Marktes in Preiszonen gelingen. Darüber hinaus sollten die EU-Mitgliedstaaten beim europaweiten Ausbau der Energieinfrastruktur sowie beim Import von Energieträgern stärker kooperieren.
Rohstoffversorgung sichern, Handelsabkommen stärken
Der Ausbau erneuerbarer Energien dürfte zusammen mit der Batterie- und Wasserstoffförderung des IRA die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen steigern und die Konkurrenz um die knappen Ressourcen erhöhen. Die EU sollte beitragen, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sicherzustellen und zu diversifizieren. Dazu sollten neue Abkommen mit Staaten, die über kritische Rohstoffe verfügen oder diese verarbeiten, geschlossen werden. Gleichzeitig sollten die Anreize für den Aufbau heimischer Rohstoffförderung sowie Rohstoffrecycling gestärkt werden.
Die Steuergutschriften im IRA fallen besonders hoch aus, wenn ein großer Anteil der verwendeten Rohstoffe und Vorprodukte aus den USA oder aus Staaten stammt, mit denen die USA Freihandelsabkommen haben. „Die EU sollte die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA zügig vorantreiben und bereits ausverhandelte Abkommen wie etwa Mercosur ratifizieren“, fordert Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat.
Der Sachverständigenrat Wirtschaft veröffentlicht heute zum ersten Mal einen Policy Brief. In diesem neuen Format werden aktuelle Fragestellungen oder bereits bestehende Positionen unter einem neuen Aspekt analysiert und diskutiert. Die Policy Briefs werden in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht.