KURZFASSUNG

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(1) Die Corona-Pandemie hat zu einer der schwersten Rezessionen der Nachkriegszeit geführt. Mit dem Ende der akuten behördlichen Maßnahmen gegen die Pandemie im Frühjahr 2020 setzte zwar eine schnelle Erholung ein. Der jüngste Anstieg der Infektionszahlen zeigt aber, wie fragil die Situation bleibt. In verschiedenen Bereichen ist eine Normalisierung der wirtschaftlichen Lage noch immer nicht absehbar, die Corona-Krise ist noch nicht bewältigt. So dürfte angesichts der erneuten pandemiebedingten Einschränkungen die Erholung in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern derzeit pausieren. Zudem könnten sich Veränderungen im Zuge der Pandemie etwa im individuellen Verhalten, durch veränderte Konsumpräferenzen oder durch neue Rahmenbedingungen langfristig auf die Wirtschaft auswirken.

Die deutsche Volkswirtschaft war bereits vor der Pandemie mit vielfältigen langfristigen Veränderungen konfrontiert. Der Strukturwandel, ausgelöst durch den technologischen Fortschritt, den demografischen Wandel und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, ist eine große Herausforderung, bietet aber zugleich Chancen. Die Wirtschaftspolitik ist gefordert, die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise zu bewältigen, die ökonomische Resilienz in Deutschland und Europa zu erhöhen und das Wachstumspotenzial zu stärken.

Die pandemiebedingte Rezession überwinden

(2) Die Corona-Pandemie führte in Deutschland zum stärksten Einbruch der Wirtschaftsleistung in einem Quartal seit Beginn der vierteljährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Jahr 1970. Aufgrund der kräftigen Erholung über den Sommer dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einer Zuwachsrate von ‑5,1 % auf das gesamte Jahr 2020 gesehen ungefähr so stark zurückgehen wie im Jahr 2009 während der globalen Finanzkrise. Es ist zu erwarten, dass sich die Erholung mit einem Wachstum von 3,7 % im kommenden Jahr verlangsamt fortsetzen wird. Ziffer 45 Das Vorkrisenniveau des 4. Quartals 2019 dürfte allerdings nicht vor Anfang des Jahres 2022 erreicht werden. Für die weitere Entwicklung bleiben das Infektionsgeschehen und die daraufhin getroffenen Einschränkungen entscheidend. In der Prognose geht der Sachverständigenrat davon aus, dass das Infektionsgeschehen mit begrenzten Eingriffen unter Kontrolle gehalten werden kann, dafür kein umfangreicher Shutdown wie im Frühjahr 2020 notwendig ist und die internationalen Lieferketten nicht wesentlich gestört werden. Ziffern 45 ff. Bedeutsam für die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie ist eine klare Kommunikation der Politik, etwa hinsichtlich der jeweiligen Kriterien, nach denen neue Einschränkungen getroffen oder aufgehoben werden. Ziffern 184 ff.

(3) Die Entwicklung im Ausland spielt eine wichtige Rolle. In China schreitet die wirtschaftliche Entwicklung zwar wieder schnell voran, und im Zuge der wirtschaftlichen Erholung konnten die USA und der Euro-Raum im 3. Quartal ein starkes Wachstum des BIP verzeichnen. ZifferN 19 und 29 Nun dürfte sich das Erholungstempo jedoch wieder merklich abschwächen. Für das Jahr 2020 erwartet der Sachverständigenrat für den Euro-Raum einen Rückgang des BIP um insgesamt 7,0 %. Ziffer 42 Die großen Mitgliedstaaten Spanien, Italien und Frankreich sind dabei unter den am stärksten betroffenen Staaten im Euro-Raum. Ziffern 42 ff. Im Jahr 2021 dürfte die Zuwachsrate des BIP im Euro-Raum mit 4,9 % wieder positiv ausfallen. Angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens bestehen jedoch erhebliche Abwärtsrisiken für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft.

Abbildung 1 Die wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten der Corona-Pandemie
Die wirtschaftliche Entwicklung ist geprägt von der Corona-Pandemie.
Sie führt zu einer schweren Rezession in Deutschland und dem Euro-Raum.
Die Industrieproduktion erholt sich schneller als in der Finanzkrise.
Umfangreiche geld- und fiskalpolitische Maßnahmen stützen die Wirtschaft in der Krise.
Das Konjunkturpaket dürfte die Wirtschaftsleistung in 2020 und 2021 erhöhen, ist jedoch nicht in allen Teilen zielgenau.

Große Teile der Stützungsmaßnahmen stehen weiterhin zur Verfügung.
1 - Zu den Einzelheiten siehe Abbildung 29.
Quellen: BMF, BMWi, KfW, Verband deutscher Bürgschaftsbanken
© Sachverständigenrat | 20-551-6

(4) Die Politik hat in der Krise rasch und entschlossen gehandelt. So wurden umfangreiche geld- und fiskalpolitische Maßnahmen ergriffen, welche die Wirtschaft in der Krise gestützt haben. Zudem trugen automatische Stabilisatoren wie das Steuersystem, das Arbeitslosengeld und das Kurzarbeitergeld in erheblichem Maß zur Stützung bei. Im Juni 2020 hat die Bundesregierung ein Konjunkturpaket aufgelegt, das die Wirtschaftsleistung in den Jahren 2020 und 2021 erhöhen dürfte. Ziffern 163 ff. Die Stützungsmaßnahmen wurden bisher nicht ausgeschöpft und stehen weiterhin zur Verfügung.

Das Konjunkturpaket ist jedoch nicht in allen Teilen zielgenau. So zeigt sich etwa in einer für den Sachverständigenrat durchgeführten Umfrage, dass von der befristeten Senkung der Umsatzsteuer nur in geringem Maß die von der Krise besonders betroffenen Haushalte profitieren und die Weitergabe der Steuersenkung nur teilweise zu mehr Konsum führt. Ziffern 167 ff. Im weiteren Verlauf wären etwa eine stärkere Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags und eine größere Differenzierung der Überbrückungshilfen nach Betroffenheit durch die Krise vorteilhaft. Zudem könnte eine Energiepreisreform einen positiven Impuls setzen. Ziffern 195 und 391 ff.

In anderen Mitgliedstaaten der EU und auf EU-Ebene selbst wurden ebenfalls vielfältige Maßnahmen ergriffen, um den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie entgegenzuwirken. Ziffern 258 ff. Die Europäische Zen­tralbank (EZB) hat viel Liquidität zu sehr günstigen Konditionen für das Bankensystem bereitgestellt, um die Kreditvergabe zu unterstützen und eine mögliche Bankenkrise zu verhindern. Gleichzeitig trug die große Ausweitung der Wertpapierkäufe dazu bei, Finanz- und Staatsanleihemärkte zu stabilisieren. Ziffern 105 ff.

(5) Die Digitalisierung hilft in vielen Bereichen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern. ZifferN 545 ff. So konnten viele Unternehmen durch einen technologiegestützten Wechsel ins Homeoffice ihren Geschäftsbetrieb trotz Abstands- und Hygieneregeln aufrechterhalten. Gleichzeitig hat die Pandemie Defizite in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens und des Bildungssystems aufgezeigt. Im Gesundheitswesen könnte ein rascher Ausbau der Digitalisierung in den kommunalen Gesundheitsämtern genutzt werden, um Meldewege effizienter zu gestalten und somit eine schnellere Informationsübermittlung zu ermöglichen, die bei der Bekämpfung der Pandemie erhebliche Vorteile verspricht. Der zielgerichtete Einsatz digitaler Technologien könnte dazu beitragen, im weiteren Verlauf der Pandemie erneute Anstiege der Infektionszahlen einzudämmen. ZifferN 186 und 546 ff.

Im Bildungssystem muss für den Fall erneuter Schulschließungen zumindest der Einsatz kurzfristig verfügbarer digitaler Angebote sichergestellt werden. Ziffer 554 Es besteht die Gefahr, dass ein länger anhaltender reduzierter Zugang zu Bildung die Kompetenzentwicklung und den zukünftigen Arbeitsmarkterfolg junger Menschen insbesondere in bildungsfernen Schichten schmälert.

(6) Um auf zukünftige Krisen angemessen reagieren zu können, sollten mittelfristig Spielräume für die Fiskal- und Geldpolitik eröffnet werden. ZifferN 196 ff. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sollte durch geeignete Konsolidierungsschritte gesichert werden, die konjunkturgerecht und wachstumsfördernd ausgestaltet sind. Ziffer 219Andere Meinung Ziffer  235 Die Geldpolitik sollte Strategien zur Normalisierung der pandemiebedingten Stützungsmaßnahmen kommunizieren und die Gefahr einer fiskalischen Dominanz der Geldpolitik vermeiden. Ziffer 203 Die im Juli 2020 beschlossene Einrichtung eines kreditfinanzierten Aufbaufonds auf europäischer Ebene bietet die Chance, durch zielgerichtete Investitionen und Reformen in den Mitgliedstaaten der EU die Resilienz und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraums zu erhöhen. ZifferN 269 ff.

Langfristige Herausforderungen im Blick behalten

(7) Die langfristigen Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft dürfen trotz der Corona-Pandemie nicht aus dem Blick geraten. Das Produktivitätswachstum geht in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten zurück. Der technologische Wandel und insbesondere die Digitalisierung führen durch neue Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse zu tiefgreifenden Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur und auf dem Arbeitsmarkt. Ein ähnlich umfassender Strukturwandel steht durch die geplante Reduktion der Treibhausgasemissionen an, die eine Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft notwendig macht. Zudem befindet sich Deutschland in einem sich beschleunigenden demografischen Wandel, der dazu führt, dass in den kommenden Jahren immer weniger Erwerbspersonen immer mehr Rentnerinnen und Rentnern gegenüberstehen. Diese strukturellen Veränderungen sind auf unterschiedliche Weise miteinander verknüpft. Gelingt es der Wirtschaftspolitik, diese Herausforderungen zu adressieren, können daraus Chancen für die deutsche Volkswirtschaft entstehen.

Bei einer verfestigten Erholung nach der Corona-Pandemie ist auf Rahmenbedingungen zu achten, die einen anhaltenden Aufschwung und langfristiges Wachstum sicherstellen. Stützungsmaßnahmen sollten den Wandelhin zu langfristig wettbewerbsfähigen Strukturen nicht behindern. ZifferN 205 ff. So konnte die Ausweitung der Kurzarbeit einen starken Anstieg der Arbeitslosenquote verhindern. In der Zeit während der Kurzarbeit sollten jedoch noch umfangreichere Anreize gesetzt und Möglichkeiten genutzt werden, Beschäftigte weiterzubilden und sie für zukünftige Herausforderungen zu wappnen. Ziffer 212

(8) Im Zuge des Strukturwandels sind hohe private und öffentliche Investitionen notwendig. Für private Investitionen sind die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und insbesondere die Anreize für Unternehmen und Haushalte von entscheidender Bedeutung. ZifferN 570 ff. Für eine Klimapolitik, die entlang komplexer Wertschöpfungsketten eine Transformation hin zu klimafreundlichen Technologien und Produkten begünstigt, sollten marktkonforme Anreize, wie etwa die möglichst sektorübergreifende Bepreisung von Emissionen, im Fokus stehen. Staatlich induzierte Verzerrungen durch Abgaben und Umlagen sowie eine indirekte Förderung fossiler Technologien sollten im Zuge einer umfassenden Energiepreisreform beseitigt werden. Dadurch können die Koordinationsfunktion des CO2-Preises gestärkt und die Anreize zur Sektorkopplung verbessert werden. ZifferN 371 ff.

Abbildung 2 Langfristige Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft
Das Produktivitätswachstum geht in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten zurück.1
Die Eindämmung des Klimawandels macht eine Transformation hin zu einem klimaneutralen Energiesystem notwendig.
Der demografische Wandel führt dazu, dass in den kommenden Jahren immer weniger Erwerbspersonen immer mehr Rentnerinnen und Rentnern gegenüberstehen.1
Der Innovationsprozess ist zentral für das langfristige Wachstum. In Deutschland sind Innovationsausgaben auf große Unternehmen konzentriert.1
Marktorientierte Anreize sollten im Fokus stehen. Z.B. könnte eine Energiepreisreform staatlich induzierte Verzerrungen durch Abgaben und Umlagen reduzieren.1
Um auf zukünftige Krisen erneut mit voller Kraft reagieren zu können, sollten mittelfristig wieder Spielräume für die Fiskal- und Geldpolitik eröffnet werden1

(9) Ein bedeutender Teil des Konjunkturpakets in Deutschland sowie Mittel aus dem Aufbaufonds der EU sollen in öffentliche Investitionen fließen. Werden sie gezielt eingesetzt, können sie das Wachstum langfristig erhöhen. In konjunkturellen Krisen können größere Wachstumsimpulse von öffentlichen Investitionen ausgehen, wenn sie ohne nennenswerten Zeitverzug umgesetzt werden können. Allerdings gibt es unabhängig von der Pandemie Engpässe, die einer zeitnahen Umsetzung im Wege stehen, wie die weiterhin hohe Kapazitätsauslastung im Baugewerbe, fehlende Planungs- und Verwaltungskapazitäten, sowie langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren insbesondere auf kommunaler Ebene. Ziffer 179 Öffentliche Investitionen können zudem in bestimmten Bereichen für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft als komplementäre Maßnahmen sinnvoll sein, die den Emissionshandel begleiten. ZifferN 433 ff.

(10) Der Innovationsprozess nimmt eine zentrale Rolle für das langfristige gesamtwirtschaftliche Wachstum ein. ZifferN 485 ff. Für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft sind Innovationen und der Einsatz neuer Technologien ebenfalls von besonderer Bedeutung. Um das Produktivitätswachstum zu stärken, kann staatliche Innovationspolitik die privaten Investitionen unterstützen, die aufgrund positiver Wissensexternalitäten ineffizient niedrig sind. In Deutschland entfallen zwei Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) auf den Privatsektor. Innovationsausgaben sind zunehmend auf große Unternehmen konzentriert. Da sich kleine und mittlere Unternehmen in besonderem Maß Innovationshemmnissen gegenüber sehen, sollten deren Innovationsanreize gestärkt werden, um die Diffusion neuer Technologien zu beschleunigen. ZifferN 507 ff.

(11) Als Querschnittstechnologien können digitale Technologien die Produktivität in weiten Teilen der Wirtschaft erhöhen. Um die Diffusion digitaler Technologien zu beschleunigen und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, sind weitere Investitionen in die digitale Infrastruktur und eine Reduktion bürokratischer Hürden bei deren Ausbau notwendig. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen tun sich in Deutschland nach wie vor schwer, die Digitalisierung für sich zu nutzen, die dafür notwendigen organisatorischen Anpassungen vorzunehmen und die erforderlichen komplementären Investitionen in Wissen und Fachkräfte zu tätigen. ZifferN 541 und 563 FF. Um dem in der Pandemie besonders deutlich gewordenen Nachholbedarf bei der Digitalisierung des öffentlichen Sektors zu begegnen, könnten Gesundheits- und Bildungspolitik mit Fördermaßnahmen einen wichtigen Impuls setzen, diese Mängel zu beheben und den durch die Pandemie ausgelösten Digitalisierungsschub nachhaltig zu nutzen. Die im Konjunkturpaket vorgesehenen Maßnahmen können dazu beitragen. ZifferN 160 ff. Entscheidend für den Erfolg dieser Maßnahmen wird aber nicht allein die Höhe der verfügbaren Mittel, sondern vor allem die administrative Umsetzung sein.

(12) Der demografische Wandel schränkt das Angebot an Fachkräften ein. Insbesondere herrscht in den Wirtschaftsbereichen Bau und Handwerk sowie in der Pflege, bei medizinischen Tätigkeiten und in den Informations- und Kommunikationstechnologien bereits heute ein Engpass an Fachkräften. Darüber hinaus dürfte der rasche technologische und klimapolitische Wandel zu einer erhöhten Nachfrage nach Fachkräften in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) führen. ZifferN 443 f. Um diesen Bedarf langfristig decken zu können, kommen Bildung, Weiterbildung und lebenslangem Lernen wichtige Rollen zu. Insbesondere könnten gezielte Maßnahmen in der schulischen Bildung zur Förderung von Frauen in MINT-Fächern sowie die Förderung von Chancengleichheit im Bildungssystem zur Deckung des Fachkräftebedarfs in Zukunft beitragen. Ein flexibles Aus- und Weiterbildungssystem kann die Beschäftigten auf den technologischen Wandel vorbereiten. Nicht zuletzt sollten digitale Schlüsselkompetenzen im Bildungssystem vermittelt und lebenslanges Lernen, etwa durch berufliche Weiterbildung und Bildungsangebote im Verlauf des Erwerbslebens, gefördert werden. ZifferN 580 ff. Darüber hinaus verbessert ein solches System die Chancen für Erwerbsverläufe ohne Unterbrechungen, senkt das Risiko von Erwerbsminderungen und ist damit die effektivste präventive Maßnahme gegen Armut im Allgemeinen und Altersarmut im Speziellen. Ziffer 699

(13) Die Auswirkungen des demografischen Wandels dürften zudem die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nach der Corona-Pandemie erschweren. Durch die steigende Lebenserwartung bei geringer Geburtenrate und moderater Zuwanderung sowie durch den aktuell anstehenden Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge werden die Belastungen der sozialen Sicherungssysteme stark ansteigen. Kurzfristig könnte die Wiedereinsetzung des Nachholfaktors, der im Jahr 2018 ausgesetzt wurde, dem Kostenanstieg in der Gesetzlichen Rentenversicherung entgegenwirken. ZifferN 609 ff. Dadurch würde ein pandemiebedingter Anstieg des Verhältnisses von Renten- zu Lohnniveau in den kommenden Jahren schrittweise zurückgeführt werden.

Langfristig dürfte eine Erhöhung des Renteneintrittsalters etwa durch eine Kopplung an die steigende fernere Lebenserwartung das Tragfähigkeitsproblem abschwächen. Dabei würde die ansteigende Lebenserwartung zu zwei Dritteln in eine längere Erwerbsphase und zu einem Drittel in eine längere Rentenphase aufgeteilt. Ziffer 639Andere Meinung Ziffern 705 ff. Eine tatsächliche Verlängerung der Erwerbsphase wird nur dann erreicht, wenn die Erwerbstätigen dazu befähigt werden. Eine zentrale Rolle spielen systematische Weiterbildung, Möglichkeiten zur Umschulung, Vermeidung von Anreizen für Frühverrentung, Anreize für eine längere Erwerbstätigkeit und eine bessere Absicherung gegen Erwerbsunfähigkeit. ZifferN 667 f.

Internationale Kooperation nutzen

(14) Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie und angesichts der langfristigen Herausforderungen ist internationale Arbeitsteilung und Kooperation essenziell. Die Corona-Pandemie wirkt angebots- und nachfrageseitig auf nationale wie internationale Zuliefer- und Endkundenbeziehungen. Die wirtschaftliche Erholung in einer offenen Volkswirtschaft wie Deutschland kann nur gelingen, wenn es weltweit zu einer Eindämmung des Virus und damit zu einer Normalisierung in der Weltwirtschaft kommt. ZifferN 22 ff.

Deutschland und die EU erzielen erhebliche Wohlfahrts- und Produktivitätsgewinne durch den internationalen Handel und die internationale Arbeitsteilung. Allerdings zeigten sich in der Corona-Krise Tendenzen zur Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels, wie sie in der Vergangenheit bereits häufiger in Zeiten größerer gesamtwirtschaftlicher Unsicherheit auftraten. Neuem Protektionismus in der Folge der Corona-Krise sollte entschieden entgegengetreten werden. Um Handelswege offen zu halten, kommt der EU eine wichtige, vor allem koordinierende Rolle zu. ZifferN 325 ff. So sollte die EU im Hinblick auf die Lieferketten ein gemeinsames Krisenmanagement betreiben.

(15) Der Klimawandel kann ebenfalls nur weltweit eingedämmt werden, weshalb die nationalen und europäischen Bemühungen immer im globalen Kontext gesehen werden müssen. So können Deutschland und die EU etwa im Zuge der Wasserstoffstrategie bereits vorausschauend Partnerschaften initiieren oder vorantreiben, die das Erreichen der globalen Klimaziele wahrscheinlicher machen. ZifferN 461 ff. Neben dem Einsatz für ein international koordiniertes Vorgehen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen wäre ein Übergang von den nationalen und sektoralen Zielen hin zu einem sektorübergreifenden europäischen Emissionshandel erforderlich, um die europäischen Ziele effizient zu erreichen. ZifferN 372 ff.

(16) Für die Mitgliedstaaten ist die EU eine Chance, international gemeinsam zu agieren und die Chancen des Binnenmarkts zu nutzen. Es sollte das vorrangige Ziel sein, gemeinsam gestärkt aus der Krise hervorzugehen, indem Produktivität und Wachstum gefördert und die Resilienz gegenüber zukünftigen Krisen erhöht werden. Die Tragfähigkeit der Staatshaushalte, ein effektives fiskalisches Rahmenwerk sowie die Stabilität des Finanzsystems sind Voraussetzungen für ein widerstandsfähigeres Europa. Zudem gilt es, die Aufgaben zu identifizieren, die auf EU-Ebene besser angesiedelt wären oder aufgrund des Subsidiaritätsprinzips auf der nationalen Ebene verbleiben sollten. So sollte der EU beispielsweise eine stärkere Rolle in der Außen-, Verteidigungs-, Migrations- und Asylpolitik, der Bekämpfung internationaler Kriminalität, dem Klimaschutz oder der Forschungsförderung zukommen. Ziffer 254

Die EU hat auf die Corona-Pandemie mit dem Aufbaufonds reagiert, der zu einem großen Teil den nationalen Haushalten der Mitgliedstaaten zugutekommt und verschiedene EU-Programme mit mehr Mitteln ausstattet. Der temporär eingerichtete Aufbaufonds bietet den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur gemeinsamen Krisenbewältigung und zur Erhöhung der Resilienz ihrer Volkswirtschaften. Er kann jedoch, genauso wie die übrigen temporären Krisenmaßnahmen, nicht ohne eine transparente Kompetenzverschiebung auf die EU-Ebene und einen entsprechenden Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten dauerhaft fortgeführt werden. Ziffer 256

Resilienz und Wachstum stärken

(17) Die Corona-Pandemie und ihre Folgen werden die deutsche Volkswirtschaft noch eine längere Zeit begleiten. Es ist wichtig, in einer solchen Ausnahmesituation wirtschaftspolitisch auf allen Ebenen und mit der erforderlichen Stärke gegenzusteuern. Zudem gilt es, langfristige Herausforderungen zu bewältigen. Neue Chancen liegen etwa in einem pandemiebedingten Digitalisierungs- und Innovationsschub, in der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und in einer verstärkten europäischen Kooperation. Die Wirtschaftspolitik sollte die Chancen ergreifen und die Rahmenbedingungen für eine widerstandsfähige und zukunftsorientierte Wirtschaft schaffen.

Erstes Kapitel

KONJUNKTUR: ERHOLUNG HÄNGT VOM PANDEMIE-VERLAUF AB

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Nach dem starken wirtschaftlichen Einbruch im Frühjahr setzte eine kräftige Erholung der Weltwirtschaft ein. Zuletzt kam es vielerorts wieder zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen.
  • Angesichts erneuter Einschränkungen dürfte die wirtschaftliche Erholung in den betroffenen Ländern erst mit dem Abklingen der zweiten Infektionswelle wieder Fahrt aufnehmen.
  • Für Deutschland erwartet der Sachverständigenrat, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 5,1 % zurückgeht. Für das Jahr 2021 ist dann ein Anstieg um 3,7 % zu erwarten.
Zweites Kapitel

STABILISIERUNGSPOLITIK IN ZEITEN VON CORONA

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Geld- und Fiskalpolitik haben auf die Krise rasch mit sehr umfangreichen Stützungsmaßnahmen reagiert. Automatische Stabilisatoren spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle.
  • Das Konjunkturpaket der Bundesregierung trägt zur Erholung bei und dürfte die Wirtschaftsleistung temporär um 0,7 bis 1,3 % erhöhen, ist jedoch nicht in allen Teilen zielgenau.
  • Bei einer zukünftigen, nachhaltigen Verbesserung der Wirtschaftslage sollte das Augenmerk darauf liegen, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und die Geldpolitik zu normalisieren.
Drittes Kapitel

GEMEINSAM GESTÄRKT AUS DER KRISE HERVORGEHEN

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Der temporär eingerichtete Aufbaufonds bietet den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu Investitionen in Produktivität und Wachstum und kann damit Strukturreformen erleichtern.
  • Die Tragfähigkeit der Staatshaushalte, ein effektives fiskalisches Rahmenwerk sowie die Stabilität des Finanzsystems sind Voraussetzungen für ein zukünftig widerstandsfähiges Europa.
  • Die Stärkung des EU-Binnenmarkts kann die Resilienz für zukünftige Krisen erhöhen. Dazu können stärker diversifizierte Lieferketten und eine europäische Lagerhaltung Beiträge leisten.
Viertes Kapitel

KLIMASCHUTZ ALS INDUSTRIEPOLITISCHE CHANCE

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Die weltweiten Verpflichtungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen machen einen Strukturwandel unausweichlich. Daraus entstehen nennenswerte industriepolitische Chancen.
  • Der Abbau verzerrender Anreize durch eine Energiepreisreform bei gleichzeitiger Stärkung der CO2-Bepreisung kann die Koordinationsfunktion des Marktes stärken.
  • Komplementäre Maßnahmen können Hindernisse adressieren, welche die Etablierung emissionsärmerer Technologien verzögern. Sie stärken die lenkende Wirkung der CO2-Bepreisung.
Fünftes Kapitel

PRODUKTIVITÄTSWACHSTUM DURCH INNOVATION: DIGITALISIERUNG VORANTREIBEN

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Private Innovationsausgaben sind in Deutschland auf Großunternehmen konzentriert. Innovations- und Diffusionsanreize kleiner und mittlerer Unternehmen sollten gestärkt werden.
  • In der Entwicklung digitaler Technologien ist Deutschland bisher gut aufgestellt. Die Rahmenbedingungen für digitale Dienste und Geschäftsmodelle sollten jedoch verbessert werden.
  • Die Pandemie hat Defizite in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens und des Bildungssystems aufgezeigt. Diese gilt es, rasch und konsequent abzubauen.
Sechstes Kapitel

DEMOGRAFISCHER WANDEL: NACHHALTIGE ALTERSSICHERUNG

WICHTIGSTE BOTSCHAFTEN
  • Die demografische Alterung führt zu einem erheblichen Tragfähigkeitsproblem in der Gesetzlichen Rentenversicherung.
  • Langfristig würde eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende fernere Lebenserwartung das Tragfähigkeitsproblem reduzieren. Kurzfristig würde die Wiedereinsetzung des Nachholfaktors helfen, der im Jahr 2018 ausgesetzt wurde.
  • Mütter- und Grundrente verringern das Risiko für Altersarmut, jedoch ohne zielgenau zu sein. Eine verbesserte Arbeitsmarktintegration und Bildung beugen der Altersarmut langfristig vor.
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